Ganz überraschend tauchte wie aus dem Nichts die Formation GENERATION SEX auf. Der erste Gedanke war natürlich eine Reunion der einstigen Punkrock Band GENERATION X; aber das trifft den Nagel nur halb auf den Kopf. Zu den ehemaligen Mitgliedern der genannten Band mit Billy Idol am Mikrophon und Tony James am Bass gesellten sich bei diesem Projekt niemand geringeres als Paul Cook an den Drums sowie Gitarrist Steve Jones von den SEX PISTOLS. Somit ist der Name schlüssig - und eigentlich auch die Musik bzw. die Songs. Aus dem Fundus der beiden damals nicht so langlebigen Bands wurden die interessantesten Stücke herausgepickt, etwas gejammt und eine Tour organisiert. Ein Konzert wurde sogar in Deutschland geparkt, also ging es für mich in die Hauptstadt nach Berlin...
Die Anreise glich leider einem Marathonlauf; mit über einem Drittel mehr der eigentlichen Anreisezeit wurde es dann auch knapp mit dem Konzertbeginn. Aber so ist das nun mal, wenn in der Hauptstadt am selben Wochenende zweimal DEPECHE MODE auftreten, die Love-Parade stattfindet und am Folgetag in der Zitadelle Spandau auch noch SIMPLY RED antreten. Dieser Abend war in der nahezu einzigartigen Lokalität die Altherren-Punkrock Truppe im Rahmen des 'Citadel Music Festival' angesagt. Gottseidank hatten sie sich einen Support gesucht; das waren die Berliner Alternative-Rock Band WEDGE. Diese verpasste ich dank der Verzögerung bei der Anreise nahezu; konnte allerdings noch in den zweieinhalb Songs, die ich mitbekam feststellen, dass das Trio eine Portion Krautrock in ihren Sound gepackt haben, der jedoch in vielen Augen der Zuschauer ziemlich fehl am Platze war. Punkrock war immerhin der Gegenpol zu dem Hippiesound, der Discoszene und eben dem Krautrock. Mit gut vierzig Minuten war auch dann der Support von WEDGE vorbei, der leider nicht das Publikum, welches übrigens bunt gemischt, aber mit etlichen ebenfalls gealterten Punkrockern vorhanden war, in die richtige Richtung anheizen konnte.
WEDGE
photo: © Ralf Michael Benfer / benfisworld.blogspot.com
Die Punk-Rock Heroen von einst wollten dann nach der Umbaupause klassisch dramatisch auftreten; mit der Titelmusik des Films 'Uhrwerk Orange' wurde das Spektakel eingeleitet, doch es passte beim Mikro von Sänger Billy Idol noch nicht so richtig und auch die Gitarre von Steve Jones musste nochmal justiert werden. Dafür jagte er den Beginn von Smoke On The Water von DEEP PURPLE hinterher. Schätzen die Herrschaften im Alter doch die Musik, die sie als Jugendliche hassten? Die Punk-Hit geprägte Setlist startete mit dem wilden Pretty Vacant und zeigte schon das auf, was man eigentlich erwarten durfte. Hier stehen keine rebellische Jugendliche mehr auf der Bühne, sondern sehr reife Herren. Billy Idol mühte sich bei den Songs der SEX PISTOLS wie das wahnsinnig tolle Bodies oder dem spaßigen Silly Thing sehr, doch war auf jeden Fall mit seinen eigenen Songs der GENERATION X sattelfester und überzeugte gesanglich bei Ready Steady Go oder dem sanfteren Kiss Me Deadly. Wilde Sprünge über die Bühne oder harsche Gitarren oder Bass-Zauberei wurde nicht geboten. Tony James beherrscht natürlich seinen Viersaiter noch bestens und die Riffs von Steve Jones - na ja, diese wollte man doch eigentlich live Hören. Ob nun God Save The Queen, was Jones laut eigener Aussage gerne bei der Krönung von Charles III. gespielt hätte, oder auch bei den GEN X Songs wie King Rocker; dank der guten Akustik waren das die Highlights des Abends. Am besten in Schuss schien Drummer Paul Cook, der Band und Fans immer wieder anheizte und mit seinem Schlagzeug wirklich etwas von den vergangenen Punk-Tagen hervorholen konnte. Tony James übrigens ganz in weiß samt seinem GENERATION SEX Shirt wirkte optisch genauso wie der mittlerweile etwas füllige Jonesy an der Gitarre mit Baseball-Cap eher weniger punky; da war das gestreifte Shirt von Cook oder Billy Idols schwarze Endzeit-Montur samt seinem Markenzeichen, die wasserstoffblonden Bürstenhaare doch schon eher Erinnerungsmerkmale an die wilden Siebziger. Ein jeder wusste, dass mit My Way, dem Frank Sinatra Klassiker, welchen die SEX PISTOLS mit dem Bassisten Sid Vicious am Mikro einst ziemlich zerlegt hatten, das Ende des Sets eingeleitet wurde, sich die Herrschaften sowie die Fans nochmal gemeinsam alter Zeiten bemühten, bevor das Quartett die Bühne verlies.
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Ein wenig Pulver hatten die Mit-Sechziger allerdings noch zu verschießen. Wunderbar wurde der Song Problems der PISTOLS vorgetragen, bevor es mit (I'm Not Your) Stepping Stone gar einen Coversong von der amerikanischen Rockband PAUL REVERE AND THE RAIDERS. Passend darauf folgend wurde von Band wie Fans mit dem Song The Great Rock'n'Roll Swindle nochmals die gute alte Punk-Zeit gefeiert, bevor nach knapp achtzig Minuten das ungewohnte wie ersehnte Projekt zumindest in Berlin beendet war. Idol bedankte sich zwar beim Publikum und meinte, man sehe sich beim nächsten Mal, doch das darf man gewiss anzweifeln. Liebend gerne hätte wohl jeder noch etliche andere Songs aus dem Fundus der beiden Fusions-Bands gehört; doch irgendwie muss man das genießen, was man bekommt - auch wenn es eher wenig erscheint...
photo: © Ralf Michael Benfer - benfisworld.blogspot.com
Datum: 07.07.2023
Ort: Berlin
Location: Zitadelle Spandau
Spieldauer: ca. 80 min.
Setlist:
01. Pretty Vacant
02. Ready Steady Go
03. Bodies
04. Untouchables
05. Black Leather
06. Kiss Me Deadly
07. Dancing With Myself
08. Silly Thing
09. King Rocker
10. God Save The Queen
11. Your Generation
12. My Way
Zugabe:
13. Problems
14. (I'm Not Your) Stepping Stone
15. The Great Rock'n'Roll Swindle