Freitag, 28. April 2023

Dark Skies Over Witten VII - Witten, 25.03.2023

 

Auch bei der Anreise zum zweiten Tag des Spektakels unter dem dunklen Himmel zu Witten hatte sich dieser wie eine gewaltige Ankündigung über das gesamte Umland gelegt und mit starkem Regen die Bedeutung dessen scheinbar noch verstärkt. Glücklicherweise ließ der Dauerregen mit der Ankunft auf dem Gelände der Werk°Stadt nach. Allerdings sollten ein frischer Wind sowie gelegentlicher Regen bis in die Nacht hinein besonders Rauchern und Freunden der südöstlichen Warmspeisen an der Futterkutsche ein wenig Unmut bereiten. Ein solcher machte sich auch unter den Initiatoren breit, da die höllische Technik den eigentlich früher startenden Abend weitaus verzögerte und da für den Samstagabend ‚ausverkauft‘ vermeldet worden war, staute sich langsam eine deutliche Menschenmenge im Foyer. Irgendwann war aber der elektrische Teufel exorziert worden und bald darauf eröffnete der Redner der Initiatoren Carsten das musikalische Reigen des zweiten Abends – ohne zu vergessen, sich bei allen Anwesenden, allen Helfern sowie den angetretenen Musikern zu bedanken. Der mutige Entscheid auf zwei Abende unter den dunklen Himmeln war belohnt worden. Somit konnte musiziert werden.

Ganz jung und ganz mutig war auch die erste Kombo namens KURSCHATTEN, welche in der Nähe beheimatet ist und mit einer gewagten Mixtur aus diversen Musikstilen ihre Post-Punk Wurzeln befruchteten. Des Weiteren waren die Texte des Quartetts nicht nur in Deutsch verfasst, sondern wurden gepaart vom hauptsächlichen Mann am Mikro und dem Tastenmann vorgetragen. So ließen Lieder wie Stalagmit oder Trauerschweber doch mächtig aufhören und wussten die anwesenden Zuhörer sehr zu begeistern. Auf der relativ spärlich beleuchteten Bühne tigerte der Sänger immer wieder auf und ab, während sich der Gitarrist sicher auf der linken Seite der Bühne aufhielt und der Schlagzeuger, ähem – der musste wohl oder übel sitzen. Die vierzig Minuten Präsenz waren mit dem Stück Der Sechste gefühlt viel zu schnell vergangen und der bestürmte Merchandise Stand konnte leider den Anforderungen nach gepressten Speicherwerken nicht gerecht werden. KURSCHATTEN haben eine wunderbare Nische gefunden, die vielerlei Varianten aus den Achtzigern bis in die Neuzeit vermischen und sehr zu gefallen wissen.

KURSCHATTEN
photo: © Ralf Michael Benfer / benfisworld.blogspot.com


Da der Abend vollgespickt mit Programmpunkten und schon recht verzögert war, ging es bald mit der nächsten Gothic-Rock Band aus heimischen Landen weiter. Die GOLDEN APES sind schon viele Jahre keine Unbekannten innerhalb der Schwarzen Familie und eröffneten alsbald mit dem Lied A New Day‘s Dawn ihre fünfzig Minuten Auftrittszeit. Diese waren ebenfalls von der Beleuchtung her recht dunkel gehalten und wurden von dem Quintett sehr routiniert und gefühlt recht emotionslos heruntergespielt. Außer dass Sänger Peer Lebrecht scheinbar Kette rauchte, gaben sich die restlichen Musiker ihren Instrumenten hin, um Werken wie Voykov oder Hold Me ihre Tiefe zu verleihen. Die Akustik schien gegenüber dem Vorabend ein wenig nachgelassen zu haben und klang ein wenig dumpfer. Passend zum Wetter, wie Frontmann Peer es richtig vermerkte, bekam der Song Grey eine eigene Würze und da ja wenig Zeit war, marschierte Golden Apes bis zum abschließenden Lied The Moment I Fell durch ihr Set. Irgendwie war da tatsächlich ein gewisser Zeitdruck zu verspüren, leider ein wenig zu Ungunsten des Auftritts der GOLDEN APES.

GOLDEN APES
photo: © Ralf Michael Benfer - benfisworld.blogspot.com


Aus den Niederlanden war die folgende Gruppe angereist. Und diese wusste doch ziemlich zu überraschen, denn auf der Bühne sind SILENT RUNNERS eine großartige Gemeinschaft. Während der Sänger in seinem grauschwarzen Anzug samt Schnauzbart und Brille eher einem Moderator einer Fernsehsendung aus den Siebzigern glich – plus dem klassischen, langgezogenen und silbern schimmernden Mikrophon – hatte der Rest des Quintetts eher ein alternatives Aussehen. Die Lieder wie der Eingangssong The Midas Touch wiesen allesamt große Abwechslung auf, die ganz klar Post-Punk Wurzeln beinhalten, allerdings mit Pop-Attitüden und Keyboard-Klängen erweitert wurden. Die charismatische Stimme des Sängers passte hierzu perfekt. In den wechselnden Lichtfarben und dem immer wieder eingestreuten Trockeneis-Nebel wirkten die Lieder wie Go On oder Human Capital aus dem letztjährigen Album 'Statues And Ornaments' sehr lebendig, modern und doch irgendwie vertraut. Als das graue Sakko des Sängers fiel und sich ein Gitarrist ebenfalls den Synthies zuwandte, wurde es Zeit zum Tanzen, wie der Herr am Mikro ankündigte. Es folgten einige eher technoid wirkende Lieder wie Nothing Stays The Same. Sehr kurzweilig erschienen die insgesamt knapp 55 Minuten, als mit Through The Night die letzte Chance anbrach, mit den SILENT RUNNERS zu tanzen. Eine wirklich abwechslungsreiche und interessante Musikcombo aus dem Nachbarland, die man genauer betrachten sollte.

SILENT RUNNERS
photo: © Ralf Michael Benfer - benfisworld.blogspot.com

Aus der Redaktion des Affen-Anzeigers – neumodern Monkeypress genannt – wurde mir die kommende Band wärmstens empfohlen. Dabei waren diese eigentlich nur unter dem dunklen Himmel von Witten vertreten, weil sich die angedachte Musikgruppe HAPAX überraschenderweise aufgelöst hatte und dringend ein potenzieller Ersatz hermusste. Und JE T'AIME aus der Grande Nation sind in Sachen Post-Punk, New Wave und Synth-Pop der schlecht-behütetste Geheimtipp aus ganz Europa. Das französische Trio ist wahrhaftig anders. Mit einem durch neonfarben aufgepeppten Aufzug, war schon das Erscheinungsbild von Sänger dBoy eine künstlerische Mischung aus Achtziger-Style und Neo-Emo. So auch deren Musik, welche eingängig ist, schnell durch die Glieder geht und zum Tanzen verleitet. Das Gesamtbild wird durch einige neckische Attitüde aufgewertet; Bassist Crazy Z. hat schon eine anziehende Wirkung, die sich nach dem überraschenden Unterbrechung nach fünf Liedern mit blankem Oberkörper nur verstärkte. Überrascht hatte ein wenig die doch eher höher angelegte Stimme des Sängers, als vermutet und erinnert verdammt an viele Wave-Größen genannter Achtziger Jahre. So konnte man als Zuschauer gar nicht anders, als Lieder wie Lonely Days oder Blood On Fire im flackernden Lichterwerk abzufeiern. JE T'AIME machen einfach Spaß zur ihrer energischen Musik. Nach dem kurzzeitigen Abgang von der Bühne trieb das Trio die Fans aber noch mit Liedern wie Evil Curves oder Winter Lake aus der letztjährigen Doppel-Veröffentlichung 'Passive' sowie 'Aggressive' an. Ausgerechnet beim Finale wollte die Elektronik aber nicht mitspielen; das Programm des Liedes Kiss The Boy setzte nach wenigen Sekunden wieder aus. So bediente das Trio die freudige Menschenmenge noch mit dem Lied Dance und verabschiedete sich ebenso erfreut über den wunderbaren Auftritt in Witten. JE T'AIME muss sich jeder Freund genannter Musikrichtungen unbedingt mal anschauen!

JE T'AIME
photo: © Ralf Michael Benfer - benfisworld.blogspot.com


Von der britischen Insel ging das europäische Reihum weiter. Mit 1919 kam eine Kult-Formation des Post-Punk auf die Bühne in der Wittener Werk°Stadt. Schon in den frühen Achtzigern hatten ihre Singles für Aufsehen gesorgt, welches lange Jahrzehnte anhielt und die Musiker anspornte nochmals den gestarteten Faden aufzunehmen. Und obwohl nun im gesetzteren Alter, wirkten die vier Herrschaften immer noch so aggressiv wie der Grundton ihrer Musik. Schlagzeuger und Kopf der Gruppe Mick Reed ließ lauthals seinen Unmut über die schlechte Einstellung der Bühnenmonitore heraus, den man hier besser nicht schriftlich hinterlegen sollte. Mit dem Klassiker Borders startete das Quartett kräftig los, spürbar erfreut nach Jahren nochmal außerhalb des britischen Eilands aufspielen zu können. Dementsprechend konnte man die Frustration des Drummers und des Bassisten Ding Archer verstehen – es sollte der perfekte Auftritt sein. Musikalisch war es das jedoch; ob nun Klassiker der Frühzeit wie Cry Wolf und Repulsion oder auch neue Auswürfe wie Futurcide kamen sehr gut herüber und wurden von Sänger Rio Goldhammer ausdrucksvoll umgesetzt. So genossen die noch anwesenden Fans – immerhin war mittlerweile die Geisterstunde angebrochen und die Schwarze Familie wird nun mal auch nicht jünger – diesen wohl seltenen Auftritt des Quartetts. Ein Hinweis auf ein kommendes Album lässt natürlich hoffen, dass es vielleicht nochmals eine Gelegenheit geben könnte. Mit den beiden Liedern Caged – die wohl bekannteste Veröffentlichung der Band – sowie Bloodline verabschiedeten sich die Briten nach guten fünfzig Minuten von der Bühne in Witten. Bedenkt man, dass 1919 ebenfalls als Ersatz für die ausgefallene Combo RED ZEBRA angetreten war, wird man umso erfreuter auf diesen geschichtsträchtigen Auftritt zurückblicken können.

1919
photo: © Ralf Michael Benfer - benfisworld.blogspot.com


Am Ende eines langen Tages, der eigentlich schon in den nächsten übergegangen war, kamen mit den deutschen Elektro-Wavern von GIRLS UNDER GLASS die letzten Musikusse der diesjährigen Zusammenkunft unter den dunklen Himmeln zu Witten auf die Bühne. Auch dieses Trio war schon in den Achtzigern eine bundesweite Größe und feierte besonders in den Neunzigern erfreuliche Erfolge. Diese Lieder waren natürlich in den Auftritt eingeplant worden; wie der Eröffnungstrack Endless Night oder auch Never Go. Waren anfangs Volker Zacharias an Gitarre und Mikro, Axel Ermes hinter den Synthies und Falko Grau am Viersaiter zu sehen, gesellte sich nach fünf Liedern noch Sänger Thomas Lücke hinzu, um weitere Lieder wie Ohne Dich oder die THE SISTERS OF MERCY Coverversion von Body Electric rauszuhauen. Der gesamte Auftritt wurde von einem interessanten Video mit bewegten Bildern aufwendiger gestaltet und die Fans mussten entscheiden, wo sie mehr den Fokus drauflegen wollten – Band oder Video. Schnell verging die Stunde Spielzeit, welche zum Abschluss natürlich noch die Knaller-Songs Humus und Du Tier beinhaltete. Eine feste Ankündigung auf das neue Album namens 'Backdraft' im Sommer (VÖ: 02.06.2023) machte besonders die engen Fans glücklich. GIRLS UNDER GLASS sind ebenfalls noch lange nicht Geschichte.

GIRLS ON GLASS
photo: © Ralf Michael Benfer - benfisworld.blogspot.com


Geschichte war aber nun die siebte Auflage der Zusammenkunft unter dem dunklen Himmel von Witten. Man kann nur sagen, dass sich der mutige Entscheid auf zwei Tage gelohnt hat – für die Initiatoren wie auch für die Freunde dunkler Töne. Natürlich gab es auch noch zu der späten Stunde eine Chance auf gediegene Tanzeinlagen auf dem Parkett. Wichtig ist aber die Aussage, dass es auch Anno 2024 ein zweitägiges Aufeinandertreffen geben wird. Dafür sind sogar schon die Netze ausgeworfen worden und mit den Gothic-Rockern REPTYLE, den belgischen STAR INDUSTRY und den Gothic-Göttern MERCIFUL NUNS aus Berlin sind die ersten dicken Fische ins Netz gegangen. Außerdem wagen sich die Initiatoren ungefiltert unter den dunklen Himmel – in modernen Worten: Open Air Festival … und das noch in diesem Jahr. Es bleibt also aufregend in der Schwarzen Familie; und dies unter anderem durch Carsten Frauendorf und sein Team. Ich ziehe meinen nicht vorhandenen Hut!

Diesen Bericht ermöglichten DSOW Underground Kultur und Monkeypress - vielen lieben Dank!

Datum: 25.03.2023
Ort: Witten
Location: Werk°Stadt
Spieldauer: Kurschatten 40 min. / Golden Apes 50 min. / Silent Runners 55 min. / Je T'aime  50 min. / 1919 50 min. / Girls Under Glass 60 min.

Setlist KURSCHATTEN:
01. Nachruf
02. Patschuli
03. Stalagmit
04. Urmund
05. Grausedruden
06. Trauerschwebe
07. Okkultes
08. Kahler Asten
09. Moräne
10. Der Sechste

Setlist GOLDEN APES:
01. A New Day's Dawn
02. Voykova
03. From The Sky
04. Grey
05. Hole (In My Head)
06. Verity
07. Hold Me
08. Ferryman
09. The Moment I Fell

Setlist SILENT RUNNERS:
01. The Midas Touch
02. My Ambition
03. Go On
04. Perfect Place To Hide
05. Human Capital
06. Nothing Stays The Same
07. Roadkill
08. Caveman
09. Forgotten
10. Through The Night

Setlist JE T'AIME:
01. Unleashed
02. Lonely Days
03. Give Me More Kohl
04. Blood On Fire
05. Marble Heroes
06. Evil Curves
07. If Only
08. Winter Lake
09. Dance

Setlist 1919:
01. Borders
02. Anxiety
03. Repulsion
04. Cry Wolf
05. Dream
06. Singing To The Universe
07. Jacki
08. Only The Good
09. Tear Down These Walls
10. Futurecide
11. Satellite Man
12. Caged
13. Bloodline

Setlist GIRLS UNDER GLASS:
01. Intro / We Feel Alright
02. Endless Night
03. Never Go
04. Reach For The Stars
05. Eiskalt
06. Ohne Dich
07. Some Kind Of Stranger
08. Dream Yourself Away
09. Enemy
10. Show Time
11. Body Electric
12. Humus
13. Du Tier

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